Wie kam es dazu in einer Welt, in der vor knapp fünf Jahren die Ereignisse kaum auf eine Verschlechterung der politischen Beziehungen, vor allem zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation, hinzudeuten schienen? Um diese Frage zu beantworten, ist es nötig, die heutige strategische Militärpolitik der Vereinigten Staaten zu verstehen.
Die Wolfowitz-Doktrin
Wie der russische Präsident Wladimir Putin in den letzten fünf Jahren wiederholt erklärte, verfolgen Washington und diejenigen, die die Washingtoner Politik bestimmen, unmittelbar seit der Auflösung der Sowjetunion und des Militärbündnisses Warschauer Pakt um 1990/1991 etwas, was sie gerne Amerikas »Manifest Destiny« (offenkundige Bestimmung) nennen. Es handelt sich weder um etwas Offenkundiges noch um eine Bestimmung, sondern um den verrückten Plan einiger machtbesessener Kreise.
Präsident George H. W. Bush gestand triumphierend in seiner Rede vor der gemeinsamen Sitzung des Kongresses am 11. September 1990 jene nicht erklärte Zielsetzung dieser machthungrigen Kreise ein. Bush war einer der wichtigsten Ingenieure, die die USA in eine globalistische, imperiale Kriegsmaschinerie umgewandelt haben. In seiner Rede am 11. September proklamierte er, Amerika würde als alleinige Supermacht das erschaffen, worauf sich Freimaurer und andere als »Neue Weltordnung« beziehen. Es ist das, was die amerikanische Ein-Dollar-Note auf Latein als »Novus ordo seclorum« verkündet. Jene neue Ordnung ist, wie heute klar sein dürfte, eine des Krieges, des Mordens, des Chaos, des Hasses und der Rache, eine der negativen Einstellungen überall dort, wo es noch positive gibt. Das ist weitestgehend die Geschichte der etwa 40 Jahre, seitdem Bush CIA-Direktor war, und er – beginnend mit der US-Invasion in den Irak 1991 – viele dieser Entwicklungen in Gang gebracht hat.
Im Februar 1992 hat das Büro des stellvertretenden Verteidigungsministers für Politik, Paul Wolfowitz, mit der Pentagon Defense Planning Guidance for 1994-99 (Leitfaden des Pentagon für die Verteidigungsplanung für die Jahre 1994 bis 1999) die strategische Politik für die Zeit nach Ende des Kalten Krieges skizziert. Der Leitfaden ist heute als »Wolfowitz-Doktrin« bekannt. Sie wurde vorzeitig von einem Beamten des Pentagon heimlich an die Öffentlichkeit gebracht.
Dieser meinte, eine solche radikale Abkehr von der US-Verteidigungsposition – insbesondere da der »Hauptfeind«, die Sowjetunion, nicht mehr der Feind war – sollte Gegenstand einer ganz und gar öffentlichen Debatte sein. Die ursprünglich skizzierte Richtlinie, die heute geltende Politik ist, wurde hastig überarbeitet und aufgeweicht, nachdem sie in der New York Times im Original erschienen war. Jedoch wird die ursprüngliche Politik bis heute beibehalten.
Die ursprüngliche Wolfowitz-Doktrin stellte fest: »Die politische und militärische Aufgabe Amerikas in der Zeit nach dem Kalten Krieg wird es sein, sicherzustellen, dass man keine rivalisierende Supermacht in Westeuropa, Asien und auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion aufkommen lässt.«
Sie verlangte – wenn nötig – Maßnahmen außerhalb des Regelwerks der Vereinten Nationen und vom US-Militär, Präventivkriege zu führen: »Wir werden uns die überragende Verantwortlichkeit vorbehalten, jene Fehlentwicklungen selektiv anzugehen, die nicht nur unsere Interessen bedrohen, sondern auch diejenigen unserer Verbündeten ... «
Damals war Dick Cheney Verteidigungsminister unter Präsident Bush senior.
Die Wolfowitz-Doktrin proklamierte als Aufgabe Amerikas, »mögliche Wettbewerber zu überzeugen, dass sie nicht eine bedeutendere Rolle anzustreben brauchen oder eine aggressivere Haltung annehmen müssen, um ihre legitimen Interessen zu schützen«. Der verstorbene US-Senator Ted Kennedy
hatte diese Doktrin 1992 verurteilt und als »die Forderung nach einem amerikanischen Imperialismus im 21. Jahrhundert, den keine andere Nation akzeptieren kann oder sollte« erklärt.
Die ursprüngliche Wolfowitz-Doktrin wurde nach dem 11. September 2001 unter George W. Bushs Präsidentschaft zur offiziell erklärten Politik. Es war die Zeit, als Cheney, Wolfowitz, Lewis Libby, Richard Perle, Andrew Marshall und andere hartgesottene, so genannte Neokonservative die

US-Politik bestimmten. Sie wurde in den Medien als »Bush-Doktrin« oder im Jahr 2002 förmlich als
National Security Strategy of the United States (Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten) veröffentlicht.
Die Politik rechtfertigte »präventive« US-Militärschläge wie solche gegen die Taliban in Afghanistan und gegen Saddam Hussein im Irak ebenso wie die Forcierung von
»regime changes« (Regimewechsel) durch die USA in Ländern ringsum auf der Welt, wenn diese nicht bereit waren, die politische Linie Washingtons unter dem Namen »Demokratieexport« voranzubringen.
Die beiden Säulen der Macht Amerikas
Seit 1944, im Gefolge des Bretton-Woods-Abkommens und nach der ein Jahr später getroffenen Entscheidung der USA, zwei Atombomben über Japan abzuwerfen, beruhte die Weltmacht der USA auf zwei Säulen. Die erste Säule war die Wall Street und der US-Dollar als Weltreservewährung. Die zweite bestand darin, es keiner anderen Nation zu erlauben, Amerikas militärische Überlegenheit herauszufordern. Seitdem bestand die US-Außenpolitik je nach der Stärke eines möglichen finanziellen oder militärischen Rivalen in einem sorgfältigen Wechsel zwischen der einen oder der anderen Säule.
Um 1989 begann sich ein wirtschaftlicher Rivale der USA mit Namen »Europäische Wirtschaftsunion« herauszubilden. Ihr neuer Plan für einen gemeinsamen Markt nach dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 wurde im Februar 1992 als »Maastrichter Vertrag der Europäischen Union« bekannt. Er rief zur Einrichtung einer Europäischen Zentralbank und einer gemeinsamen Währung, des heutigen Euro, auf. Woran man sich kaum noch erinnert, war die weitere Forderung nach einem von der NATO unabhängigen Standbein der europäischen Verteidigung. Dazu sollte es nicht kommen. Washington ergriff praktische Maßnahmen, um den Krieg in Jugoslawien zu entfachen. Er veränderte die politische Landkarte Europas. Die NATOwurde den EU-Mitgliedsstaaten im Osten einschließlich Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und der Tschechischen Republik übergestülpt. Die von den USA kontrollierte NATO hatte die militärischen Angelegenheiten der EU zu dominieren und tut das bis heute.
Um 2007 war die finanzielle Säule der US-Weltherrschaft in große Schwierigkeiten geraten, als sich die auf US-Immobilien bezogene Bankenkrise bis September 2008 zur schlimmsten Finanzkrise in der Geschichte der USA auszuweiten begann.
Zu diesem Zeitpunkt stellte sich für Washington und die Wall Street eine ganz neue Herausforderung in Form eines zunehmend selbstbewussten Chinas und des Aufstiegs Russlands aus der Verwüstung der Jelzin-Jahre unter der nationalistischen Präsidentschaft von Wladimir Putin. Im Jahr 2008 stellte ein durchsetzungsfähiges China öffentlich klar, dass es den Kauf von US-Staatsanleihen überdenken werde, wenn die USA weiterhin Defizite in Höhe von Billionen Dollar auflaufen ließen.
Washington reagierte in Form einer irregulären Kriegsführung. Die USA leiteten im Dezember 2010 eine Reihe von Regimewechsel-Destabilisierungen im Nahen Osten ein und begannen in Tunesien

mit der Revolution zum Sturz des dortigen Präsident Ben Ali. Dem folgte unmittelbar die »Farben-Revolution« auf dem Tahrir-Platz in Ägypten. Diese breitete sich mit der grausamen Zerstörung des wohlhabendsten muslimischen Landes in Afrika, Libyen, und mit der Ermordung Gaddafis Ende 2011 schnell über den gesamten Nahen Osten aus.
Washingtons geheimes Programm hinter der Unterstützung jener Revolutionen bestand darin, schließlich Marionettenregime der Muslimbruderschaft durchzusetzen, wie das für eine kurze Zeit mit Mohammed Mursi in Ägypten gelang. Strategisches Ziel war es, mit dem US-Militär zum ersten Mal direkt das Zentrum der weltweit bekannten Ölreserven zu kontrollieren. Mit dieser Kontrolle gelänge es, die Volkswirtschaften sowohl der EU als auch des aufstrebenden China zu beherrschen. Das sollte durch die Kontrolle ihres jeweiligen Zugangs zu Energie sowie die weltweite Kontrolle der Öl- und Gaspreise bewerkstelligt werden.
Auf diese Strategie hat Dick Cheney, damals Vorstandsvorsitzender von Halliburton, bei seinem Vortrag vor dem Londoner
Institute of Petroleum 1999 angespielt.
Die Energie-Geopolitik im Nahen Osten
Die Geopolitik mittels Energie – Öl und Erdgas – spielte in der Strategie Washingtons bei dem, was man zur Täuschung »Arabischer Frühling« genannt hat, eine zentrale Rolle.
Die größten Erdgasfelder der Welt erstrecken sich im Persischen Golf von den Hoheitsgewässern des Iran bis zu denen Katars.
Im Jahr 2009 besuchte der Emir von Katar, Hamad bin Chalifa Al Thani, den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad in Damaskus. Dabei schlug Al Thani Assad vor, Syrien solle eine Vereinbarung über die Zulassung einer Transitgaspipeline von Katars riesigem Nord-Dome-Gasfeld im Persischen Golf, das sich an das mächtige South-Pars-Gasfeld im Iran anschließt, eingehen. Die Katar-Pipeline sollte sich durch Saudi-Arabien, Jordanien, Syrien bis zur Türkei erstrecken, um die europäischen Märkte zu versorgen. Ganz entscheidend daran war, dass sie Russland umgehen würde.
Ein damaliger Bericht von
Agence France-Presse (AFP) behauptete, Assads Begründung für die Zurückweisung von Al Thanis Vorschlag sei »der Schutz der Interessen seines russischen Verbündeten, des europäischen Hauptlieferanten für Erdgas« gewesen. Stattdessen führte Assad

2010 Gespräche mit dem Iran und dem Irak über einen alternativen zehn Milliarden Dollar umfassenden Pipeline-Plan, der möglicherweise auch dem Iran erlauben würde, Europa Gas aus dem
South-Pars-Feld in den iranischen Gewässern des Persischen Golfs zu liefern.
Die drei Länder unterzeichneten dahingehend
im Juli 2012 eine Absichtserklärung. Gerade zu dem Zeitpunkt breitete sich der syrische Bürgerkrieg nach Damaskus und Aleppo aus. Assad hatte sich zum Hauptfeind der USA, Frankreichs und Großbritanniens gemacht. Diesen Ländern schlossen sich Erdoğans Türkei und dann Saudi-Arabien und Katar an. Katar ist heute das Domizil der Muslimbruderschaft.
»Der offenkundigste Staatsstreich ...«
Im Oktober 2011 und erneut im Februar 2012 legte Russland im Sicherheitsrat der UNO sein Veto gegen US-Resolutionen ein, die militärische Interventionen genehmigt hätten, um Assad in Syrien zu stürzen. Die Reaktion Washingtons war, Moskau in seinem Hinterhof – in der Ukraine – zu treffen. Nach monatelangen, von den US gestützten Euromaidan-Protesten in Kiew zwang Washington im Februar 2014 den gewählten Präsidenten der Ukraine, um sein Leben zu fliehen.
Die Obama-Regierung unter der Führung des Falken im US-Außenministerium, Victoria Nuland, des US-Botschafters Geoffrey Pyatt und einer Menge von
CIA-Agenten inmitten der Proteste auf dem Maidan-Platz installierte offen ihre handverlesenen Marionetten und bediente sich dazu offenkundiger Neonazis aus dem
Prawyj Sektor und der
Swoboda-Partei. George Friedman, der Chef von
STRATFOR, einer US-Beratungsfirma für Strategie, zu deren Kunden das Pentagon, die
CIA sowie israelische Behörden zählen, nannte in einem Interview der russischen Zeitung
Kommersant im Dezember den von den USA organisierten Staatsstreich in der Ukraine den
»offenkundigsten [US-] Staatsstreich der Geschichte«.
Als Washington nicht nur Deutschland, Frankreich und der EU, sondern auch Russland und der Ukraine diktierte, welche Personen das neue Putschregime in Kiew unter dem von ihnen ausgewählten Ministerpräsidenten, dem bekannten hochrangigen Scientologen Arsenij Jazenjuk, stellen sollten, war das ein Schlag ins Gesicht. Deutschland und Frankreich hatten schwer daran zu schlucken. Sie verkrochen sich hinter der Führung der Washingtoner Kriegsfalken in der Regierung Obama.
Die EU verabschiedete nach der Volksabstimmung auf der Krim im März 2014 einstimmig die von den USA diktierten Sanktionen gegen Russland. Die deutsche Industrie protestierte offen gegen die Sanktionen. Merkels Regierung beugte sich der NATO und Washington, und die deutsche Wirtschaft zusammen mit dem Rest der EU litten darunter schwer.
Diese US-Politik, mit der Ukraine einen tiefen Keil zwischen Russland und die EU zu treiben, bildete den eigentlichen Hintergrund für den enormen Druck aus Brüssel auf die Regierung Bulgariens, damit sie den Bau der Gaspipeline South Stream stoppt, die den südosteuropäischen Ländern unabhängig von der unsicheren ukrainischen Transitleitung jährlich 63 Milliarden Kubikmeter Gas geliefert hätte. Es wäre ein Schritt zu einer vom Kriegsgebiet Ukraine unabhängigen, regionalen Versorgungssicherheit mit Energie gewesen.
Die EU-Kommission übte, selbst unter dem Druck der Obama-Regierung stehend, unangemessenen Druck auf die bulgarische Regierung aus, ihr bilaterales Abkommen mit der russischen Gazprom über die Pipeline South Stream neu zu verhandeln. Das Land sollte sich dem dritten Energiepaket der EU fügen, das kaum mehr als ein geopolitisches Instrument ist, um den Zustrom russischen Gases in die EU zu mindern.
Das Paket bestimmt, dass in der EU kein Einzelunternehmen den gesamten Prozess von der Gewinnung über den Transport und den Verkauf der Energie kontrolliert.
Brüssel handelte dabei mit einer zweifelhaften Legalität, da an
South Stream verschiedene internationale Partner wie die italienische
ENI (zu 20 Prozent), die französische
EDF (zu 15 Prozent) und die deutsche
Wintershall, eine Tochter der BASF (zu 15 Prozent) beteiligt waren.
Bei seinem Besuch in der Türkei am 1. Dezember 2014 erklärte der russische Präsident Putin bekanntlich, die Einstellung von
South Stream sei durch die EU-Vorschriften erzwungen worden. Er bot stattdessen die Lieferung von Gas durch die Türkei bis an die Grenze zu Griechenland an, ab

der die EU-Staaten eine andere Pipeline-Option bauen sollten.
Zurzeit gibt es keine anderen sicheren Gas-Optionen für Bulgarien und die Länder Südosteuropas außer von Russland und derGazprom. Das Gas vor der Küste Aserbaidschans reicht nicht aus. Das Gas aus Katar liegt mitten im Kriegsgebiet, ebenso wie das Gas aus dem Iran und das neu entdeckte Gasfeld Leviathan, das Israel beansprucht, was der Libanon zurückweist.
Aus geopolitischen Gründen ist das iranische Gas ein unwahrscheinlicher Kandidat für eine größere EU-Abhängigkeit. Dass Deutschland vor Kurzem Nord Stream II unterzeichnet hat, was zusätzliches russisches Gas über eine Unterwasserleitung durch die Ostsee nach Norddeutschland bringen würde, dürfte wahrscheinlich zurzeit die einzige gangbare Gas-Alternative für Bulgarien und die Region darstellen, bis die EU-Staaten sich entschließen, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben und sich von Washingtons Position abzukoppeln, einen neuen Krieg gegen Russland mit Europa als Proxy voranzutreiben.
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