Dienstag, 15. Dezember 2015

Deutsches Plasma-Experiment: Meilenstein der Kernfusion?

Deutsches Plasma-Experiment: Meilenstein der Kernfusion?

Andreas von Rétyi

Kürzlich vermeldeten deutsche Physiker einen technologischen Durchbruch. Mit dem experimentellen Versuchsreaktor Wendelstein 7-X gelang ihnen endlich, ein Hochtemperatur-Plasma kurzzeitig aufrecht zu erhalten. Seitdem rauscht es wieder im Blätterwald zur Kernfusion und ihrer Nutzung als Energiequelle. Auch zahlreiche ausländische Medien berichten über den aktuellen Erfolg. Aber was, wenn Fusion ewig die »Energiequelle der Zukunft« bleibt?


Die Rede ist von einem echten Meilenstein. Nach neun Jahren intensiver Arbeit gelang deutschen Physikern des Greifswalder Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) am dort fertiggestellten
Forschungsreaktor Wendelstein 7-X nun die Erzeugung eines auf eine Million Grad Celsius erhitzten Heliumplasmas.

Erklärtes Ziel ist es, gleichsam die »Sonne auf Erden« zu schaffen, um dieses »Sternenfeuer« für eine nahezu grenzenlose, sichere und preiswerte Energie zu nutzen. Davon allerdings ist die Forschung noch weit entfernt. Bisher haben sich solche Projekte jeweils eher als »Milliardengräber« entpuppt.

Auch das Wendelstein-Experiment hat bislang immerhin 1,1 Milliarden Euro verschlungen. Kein Wunder, die Herausforderung an die Grundlagenforschung ist gigantisch. Die jetzt in Greifswald erzielte wissenschaftliche Leistung kann sich zwar weltweit sehen lassen und steht nicht zur Diskussion. Nur, wohin wird der eingeschlagene Kurs führen? Kann Kernfusion in der Zukunft nutzbringend und kosteneffizient umgesetzt werden?

Die Grundidee – Kernverschmelzung statt Kernspaltung – ist bekanntlich schon etwas älter. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs begannen entsprechende Forschungen in England. Auch in den USAwurden Fusionskonzepte ausgearbeitet. Der namhafte Astrophysiker Lyman Spitzer entwickelte seinerzeit den »Stellarator« als grundlegenden Typ eines Verschmelzungsreaktors, an dem sich auch Wendelstein 7-X orientiert.

Der Name »Stellarator« sagt eigentlich schon alles: Das System lehnt sich an die Vorgänge im Inneren der Sterne und somit auch der Sonne an. Dort läuft eine Umwandlung der Elemente von Wasserstoff zu Helium unter extrem hohen Temperaturen und Druck ab, um relativ effizient Energie zu liefern. Die Physiker verstehen die Theorie dahinter mittlerweile gut. Und dass die Sonne ein natürlicher Kernreaktor ist, daran zweifelt unter ihnen heute kaum noch einer.

Auch die solaren Neutrinos liefern dafür gute Argumente. Trotz alledem, die eigentliche Diskussion ist eine ganz andere. Denn was im Zentrum der Sonne geschieht, lässt sich auf der Erde unmöglich exakt nachbilden – stellt aber die Grundlage der Bemühungen dar. Im Stellarator halten komplexe Magnetspulen ein Plasma im Schwebezustand, um die beiden Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium bei extrem hohen Temperaturen zu Helium zu verschmelzen.

Wegen ihrer besonders schwierigen Spulengeometrie sind Stellaratoren eigentlich erst mithilfe moderner Großrechner umsetzbar, während die 1952 von den russischen Physikern Andrei Sacharow und Igor J. Tamm konzipierten Tokamaks diesbezüglich einfacher gestaltet sind, aber andere technische Nachteile aufweisen.

1983 ging mit JET (Joint European Torus) der größte Tokamak an den Start, ein Projekt, das nur von mehreren europäischen Staaten gemeinsam gestemmt werden konnte. Auch hier dauerte esbeinahe zehn Jahre, bis vom Standort Culham in Großbritannien die erste Erfolgsmeldung zu vernehmen war: Am 9. November 1991 gelang dort erstmals die Fusion, und genau wie jetzt jubelte die Presse weltweit.

Denn das Plasma lieferte Energie. Zumindest das Prinzip wurde somit glänzend bestätigt, ein gelungenes Experiment also.

Lediglich auf die Energiebilanz durfte man nicht schauen – den 1,8 produzierten Megawatt standen 24 Megawatt gegenüber, die vorher ins System gepumpt worden waren, um überhaupt auf die erforderlichen Temperaturen zu kommen.

Gewiss, in einem so frühen Stadium kein echtes Argument gegen die Technologie. Aller Anfang ist schwer, und das gilt vor allem für derlei aberwitzige Apparaturen. Der Reaktor arbeitete auch nur zwei Sekunden lang. Mittlerweile lässt sich die Fusion in Culham relativ sicher erreichen, auch konnte die Bilanz deutlich verbessert werden. Aber die meisten Fachleute zweifeln daran, dass die Technologie relativ bald als echte Energiealternative zur Verfügung stehen wird.

Man muss schon sehr großzügig denken, wenn es um heiße Fusion geht, großzügig bei den Kosten wie auch in zeitlichen Größenordnungen. Schätzungen gehen dahin, dass solche Konzepte erst in einem halben Jahrhundert wirklich praktischen Nutzen bringen werden.

Auch die seit 2007 im Bau befindliche Versuchsanlage ITER, der International Thermonuclear Experimental Reactor, ein riesiger Tokamak im Cadarache-Kernforschungszentrum inSüdfrankreich, erzeugt natürlich noch längst keine Energie, sondern vernichtet mit hohem Wirkungsgrad nur Geld, mit seinen 18 jeweils 360 Tonnen schweren Magnetspulen.

Hier soll ein 150 Millionen Grad heißes Plasma produziert werden, allerdings erst ab dem Jahr 2020. Und erst der Folgereaktor DEMO (Demonstration Power Plant) soll Fusionsstrom liefern. Das wäre dann im Jahr 2040, wobei bis zu diesem Zeitpunkt auch die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens geklärt sein soll.

Doch schon jetzt sind Milliardenbeträge in die Fusion geflossen, während andere, möglicherweise weitaus effektivere Forschungen kaum oder gar nicht gefördert werden. Klar ist dabei: Bei ITER handelt es sich nicht um ein Fusionskraftwerk.

Die Greifswalder IPP-Forscher zeigen sich begeistert von ihren aktuellen Ergebnissen: »Wir sind sehr zufrieden«, erklärt Hans-Stephan Bosch vom Institut für Plasmaphysik des Max-Planck-Instituts in Greifswald. »Alles lief nach Plan«, so bestätigt der Wissenschaftler. Die Anlage wurde nach einem Jahr verschiedenster technischer Vorbereitungen und Tests in Betrieb genommen.

Vorausgegangen war eine jahrelange Bauzeit mit Millionen von Montagestunden am größten Stellarator der Welt. Er soll dazu dienen, die Kraftwerkseignung dieses Reaktortyps zu überprüfen. Das extrem heiße ionisierte Gas wird im Inneren eines Plasmakäfigs supraleitender Magnetspulen in einem Schwebezustand gehalten und darf die Wände des kühlen Behälters nicht berühren.

Nach eingehender Überprüfung von Heiz-, Kühl- und Steuersystemen, der Spulen, des Vakuums und sämtlicher Messgeräte war es dann am 10. Dezember so weit: Die Wendelstein-Mannschaft warf die Computersysteme an, fuhr das Magnetfeld hoch und injizierte ein Milligramm Heliumgas in das evakuierte Plasmagefäß.

Dann lösten die Physiker einen kurzen 1,3-Megawatt-Mikrowellenpuls aus, worauf auf den Monitoren das erste Plasma sichtbar wurde. Es erreichte rund eine Million Grad Celsius – für eine Zehntelsekunde. Jetzt wollen die Wissenschaftler diese Zeitspanne ausdehnen, das System optimieren und dann im kommenden Jahr zum größeren Problem überwechseln, zum Wasserstoffplasma.

Für die Fusion sind 100 Millionen Grad erforderlich. Dabei sollen mit Wendelstein 7-X vor allem die Fähigkeiten eines Stellarators getestet und nachgewiesen werden, dass auch dieser Typ »kraftwerksfähig« ist. Ziel sei derzeit nicht etwa, ein energielieferndes System zu entwickeln. Untersucht und verglichen werden am IPP beide Konzepte,  denn im Institut für Plasmaphysik in Garching bei München, gleichsam der IPP-Zentrale, läuft seinerseits der Tokamak ASDEX Update.

Stellarator- und Tokamak-Konzept unterscheiden sich in der Konstruktion des magnetischen Käfigs, wobei Stellaratoren grundsätzlich deutlich besser für einen Dauerbetrieb geeignet sind. DieGreifswalder Forscher hoffen, das superheiße Plasma mit 7-X 30 Minuten aufrecht erhalten zu können, 18 000-mal länger als jetzt.

Die Experten erwarten sich allerdings nur von ITER, zu dem das IPP ebenso wie zumJET wesentlich beigetragen hat, ein energielieferndes Plasma. Und auch dort scheint man vom gesteckten Ziel doch noch recht weit entfernt zu sein.

Es ist schon bemerkenswert, dass das von erheblichen technischen Problemen und exorbitanten, stets noch steigenden Kosten geplagte Projekt nach beinahe zehn Jahren immer noch auf sein erstes Experiment wartet. Sind es nur die ewigen Neinsager, die befürchten, heiße Fusion könnte auf ewig die Energiequelle der Zukunft bleiben?





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